Die Geschichte

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten!* Deshalb lohnt sich ein Blick zurück auf die Geschichte des Winzerkellers.

*Helmuth Kohl, Bundestagsrede vom 1. Juni 1995 zur Geschichte der Vertreibung, Plenarprotokoll 13/41 vom 01.06.1995, Seite 03183

1901 - Gründung der Ingelheimer Winzergenossenschaft

Die Geschichte des Ingelheimer Winzerkellers beginnt im Jahr 1901 mit der Gründung der Nieder-Ingelheimer Winzergenossenschaft. Die wirtschaftliche Notlage der traubenerzeugenden Bauern war damals so groß, dass sie gezwungen waren, neue Wege zu gehen: Statt die Trauben zu verkaufen, beschlossen sie gemeinschaftlich ihren eigenen Wein zu produzieren. Bereits ein Jahr später war klar, dafür auch eine eigene Kellerei zu bauen.

1904 - Grundsteinlegung des Winzerkellers

In den ersten Jahren erhöhte sich die Zahl der Genossenschaftsmitglieder rasant. Waren es zur Gründung 60 Mitglieder, standen zum Aushub der Baugrube im Winter 1903/1904 bereits 106 Winzer tatkräftig bereit. Getreu nach dem Motto "Was einer nicht schafft, das schaffen Viele", huben sie in vielen Tagwerken mit ihren Pferdefuhrwerken den schweren Letten-Boden aus, in dem am 2. Mai 1904 der Grundstein des Ingelheimer Winzerkellers gelegt wurde.

©Peter Weiland

Grundsteinlegung des Ingelheimer Winzerkellers am 2. Mai 1904

Der Bau des Gebäudes wurde unter erheblichem Zeitdruck vorangetrieben, denn der Wein des Jahrgangs 1904sollte bereits in dem neuen Keller eingelagert werden. Nichtsdestotrotz ist es gelungen, ein in seiner Architektur und Funktionalität einmaliges Gebäude zu errichten. Im Jugendstil konzipiert und mit heimischen Bruchsteinen gemauert, ist es bis heute ein Schmuckstück für Ingelheim.

1932 - Eröffnung einer Straußwirtschaft

Die ersten Jahre liefen erfolgreich, bis die Weltwirtschaftskrise zu erheblichen Absatzschwierigkeiten bei den Winzern führte. Wieder mussten neue Wege gegangen werden, um die Einkünfte zu verbessern. So eröffnete die Genossenschaft im Jahr 1932 eine Straußwirtschaft. Es war der Beginn der gastronomischen Nutzung im Winzerkeller.

Zeitgleich gelang es der Genossenschaft, immer mehr Wein über Flaschenverkäufe zu vermarkten - der Ingelheimer Wein und sein guter Ruf fanden seinen Weg über die Stadtgrenzen hinaus nach ganz Deutschland.

©Bildarchiv Peter Weiland

Ehemaliger Gastronomiebereich im Winzerkeller

1948 - Der Winzerkeller bekommt einen Gesellschaftsraum

Die folgenden Kriegs- und Nachkriegsjahre waren hart und forderten dem Vorstand der Genossenschaft viel Geschick und Tatkraft ab. Doch es gelang ihm, gleich nach der Währungsreform 1948 das Dach des Winzerkellers zu erneuern und im Obergeschoss des Giebelbaus einen Gesellschaftsraum  (heute Raum "Weinblick") - mit Blick über den Rhein einzubauen.

Im Gesellschaftsraum fanden viele Familienfeste und Jahrgansfeiern statt und auch Vereine nutzten ihn rege. Viele Ingelheimer lernten hier in der Tanzstunde ihre ersten Tanzschritte.

 

1960/1970er Jahre - Schwere Zeiten für den Winzerkeller

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen prägten die 1960/1970er Jahre und vor allem der Strukturwandel der Landwirtschaft wirkte sich auf den Betrieb des Winzerkellers aus. Immer mehr Winzer traten aus der Genossenschaft aus, denn die meisten waren nur Nebenerwerbswinzer mit landwirtschaftlichem Gemischtbetrieben oder anderen Hauptberufen. Viele verpachteten daher ihre Flächen an größere, zum Teil unabhängig von der Genossenschaft arbeitende Betriebe.

Die junge Generation zog zudem seit den 70er Jahren nach besserer Schulbildung die attraktiveren Arbeitsplätze im Industrie- und Dienstleistungsbereich vor.

 

1975 - Schulterschluss mit der Zentralkellerei

Die Fusion der Nieder-Ingelheimer und Ober-Ingelheimer Winzergenossenschaft und schließlich auch 1975 die Entscheidung, den Weinausbau und die Vermarktung im Verbund mit der Zentralkellerei Rheinhessischer Winzergenossenschaften in Gau-Bickelheim voranzutreiben, waren direkte Folgen dieser Entwicklung der stetig sinkenden Mitgliederzahlen.

 

Bis Anfang der 90er Jahre hatte der Zusammenschluss überaus positive Auswirkungen auf den Winzerkeller. Dann allerdings geriet die Zentralkellerei in wirtschaftliche Schieflage. 1993 trennte sich die Winzergenossenschaft von der Kellerei, was zur Folge hatte, das die Räumlichkeiten vorübergehend leer standen.

©Bildarchiv Peter Weiland

Ehemaliges Weinlager im 1. Untergeschoss

1990er Jahre - Die Zeit der Familie Roos

Einmal mehr war es an der Zeit,  neue Wege zu gehen. So wurde das gesamte Anwesen des Winzerkellers an das Pächterehepaar Roos vergeben. Sei ließen die Gastronomie im Winzerkeller wieder aufleben und nahmen die Traubenverarbeitung wieder auf. Im Keller reiften wieder Rot- und Weißweine der wenigen noch in der Genossenschaft verbliebenen Winzer. Ihre Zahl nahm im Laufe der Jahre allerdings so strak ab, dass die Traubenmenge auf Dauer nicht mehr für den Winzerbetrieb der Familie Roos ausreichte. Wieder musste eine neue Nutzung gefunden werden.

 

2010 - Geburtsjahr des heutigen Winzerkellers

Nach langen Überlegungen beschloss die Stadt am 30. Dezember 2010 den Winzerkeller zu  kaufen und umzubauen. Die Idee war es, ihn zum Standort einer Ingelheimer Ortsvinothek zu machen. Die Sanierungsarbeiten durch das renommierte Architektenbüro Heinreich Böll (Essen) dauerten von 2016 bis 2019.

 

2019 - Eröffnung des sanierten Ingelheimer Winzerkellers

Heute ist der Ingelheimer Winzerkeller zu einem Treffpunkt für Weinkultur geworden. Er vereint Tradition und Moderne, Geschichte und Zeitgeist und ist ein zentraler Anlaufpunkt für Gäste und Bürger Ingelheims. Unter seinem Dach befindet sich die Ingelheimer Vinothek, der Tourist-Information und einem Restaurant. Der ehemalige Gesellschaftsraum,  heute Raum "Weinblick", sowie der Gewölbekeller im ersten Untergeschoss stehen für Kultur- und Business-Veranstaltungen oder für Feierlichkeiten zur Verfügung. Im zweiten Untergeschoss befindet sich die multimediale Weinerlebnis-Ausstellung "KELLERGENOSSEN - Das Erbe neu erleben", in der Besucher hautnah in die Geschichte des Winzerkellers und der Genossenschaft eintauchen können.

©Michael Bellaire